Zurückbehaltungsrecht
Was genau versteht man unter „Zurückbehaltungsrecht“?
Die Gegenseite (also der Schuldner) kann ein sog. Zurückbehaltungsrecht geltend machen, um einen entstandenen Anspruch des Gläubigers „zurückzuhalten“, indem er den Schuldner zunächst dazu auffordert, selbst seine Pflichten aus dem gegenseitigen Vertrag zu erfüllen. Einreden gelten nicht von Amts wegen bei Gericht, sondern müssen zuvor gesondert von den Parteien geltend gemacht werden.
Gem. § 273 Abs.1 BGB kann der Schuldner eine Einrede gegen den Gläubiger aus demselben rechtlichen Verhältnis geltend machen, also seine Leistung verweigern bis der Gläubiger seinerseits aus demselben Verhältnis geleistet hat. Der Gläubiger kann das Zurückbehaltungsrecht aber auch durch Sicherheitsleistungen erfüllen (z.B. durch Sachpfändung oder Geldhinterlegung) und demnach nicht seiner ursprünglich vereinbarten Verpflichtung aus dem rechtlichen Verhältnis nachgehen.
Daneben besteht nach § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB speziell auch bei einem gegenseitigen Vertrag die Möglichkeit eine Einrede geltend zu machen, damit der Gläubiger seine eigene vertragliche Verpflichtung erbringt. Die Leistungen des Schuldners und des Gläubigers stehen bei einem gegenseitigen Vertrag in einem konkreten Gegenseitigkeitsverhältnis. Der Schuldner muss somit die konkrete vertragliche Verpflichtung erfüllen und kann das geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht nicht durch anderweitige Sicherheiten abwenden.
Beispielsweise kann der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nach § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB verweigern, wenn dieser noch Lohnansprüche vergangener Monate gegen den Arbeitgeber hat. Diese Leistungen stehen allerdings nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis, da der Arbeitnehmer die Leistung immer vor Bezahlung erbringen muss und somit die zukünftigen Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers nur mit den zukünftigen Lohnansprüchen im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Ein Zurückbehaltungsrecht besteht somit nur nach dem schwächeren § 273 BGB, nicht nach dem spezielleren Zurückbehaltungsrecht des § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Das Zurückbehaltungsrecht kann auch durch die Parteien einvernehmlich im Vorfeld durch Vertrag ausgeschlossen werden. Der Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts durch vorformulierte AGB ist allerdings nach § 309 Nr. 2 BGB nicht möglich.
Wann besteht ein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers?
Der Arbeitnehmer kann gegenüber dem Arbeitgeber ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen, wenn der Arbeitgeber seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag nicht erfüllt, wie beispielsweise die Lohnzahlung oder auch die Gewährleistung sicherer Arbeitsbedingungen. Auch kann der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung verweigern, wenn er ansonsten Verletzungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) durch den Arbeitgeber zu befürchten hat, wie beispielsweise sexuelle Belästigungen, Beleidigungen oder rassistische Bemerkungen.
Der Arbeitnehmer hat allerdings kein Zurückbehaltungsrecht bezüglich der Herausgabe der Sachen des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer selbst wird während des Arbeitsverhältnisses kein Besitzer der Sachen des Arbeitgebers, weil dieser nur auf Weisung des Arbeitgebers die tatsächliche Gewalt über die Sachen ausübt. Der Arbeitnehmer muss somit dem Arbeitgeber die Sachen herausgeben, sollte der Arbeitgeber dies verlangen.
Was müssen Arbeitnehmer bei Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts generell beachten?
Der Arbeitnehmer muss den Arbeitgeber über die Ausübung seines Zurückbehaltungsrechts informieren und dies am besten schriftlich mitteilen. Zusätzlich sollten genaue Angaben der Leistungen gemacht werden, die der Arbeitgeber erbringen soll.
Auch sollte man als Arbeitnehmer nicht gemeinsam mit anderen Arbeitskollegen von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen, da dies als Streik gedeutet werden kann. Ein Streik darf allerdings nur von den Gewerkschaften organisiert werden.
Welche Besonderheiten gelten beim Zurückbehaltungsrecht wegen rückständiger Lohnzahlungen des Arbeitnehmers?
Der Arbeitnehmer muss generell sein Zurückbehaltungsrecht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 BGB ausüben. Dieses Recht ist ausgeschlossen, soweit es sich bei der ausstehenden Vergütung um eine verhältnismäßig geringe Summe oder nur um eine kurzfristige Verzögerung der Zahlung handelt. Auch darf dem Arbeitgeber kein unverhältnismäßig hoher Schaden durch die Geltendmachung entstehen.
Prinzipiell kann man ab dem Rückstand von zwei Monatslöhnen von einem bestehenden Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers ausgehen. Sollte der Arbeitgeber in der Zwischenzeit Teilzahlungen erfüllen, erlischt das Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers (selbst wenn nicht der vollständige Betrag bezahlt wurde).
Durch die wirksame Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts wegen der Lohnrückstände muss der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung erbringen. Dadurch entfällt allerdings nicht der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers, da sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug nach § 615 Satz 1 BGB befindet. Der Arbeitnehmer kann sich auch arbeitslos melden und Arbeitslosengeld I beantragen, welches nach § 157 Abs. 3 SGB III zu gewähren ist.
Wann besteht ein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitgebers?
Der Arbeitgeber kann die Vergütungszahlung verweigern, wenn der Arbeitnehmer zu Unrecht die Sachen des Arbeitgebers nicht herausgeben möchte. Auch muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber über mögliche Vergütungen unterrichten, die der Arbeitnehmer wegen Zwischenverdiensten bei einem anderen Arbeitgeber wie auch durch Beantragung des Arbeitslosengeldes erlangt. Sollte der Arbeitnehmer diesem Auskunftsanspruch nicht entsprechen, kann der Arbeitgeber die Zahlung der Vergütung verweigern.
Zudem hat der Arbeitgeber gem. § 7 EZFG ein Zurückbehaltungsrecht bezüglich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall des Arbeitnehmers, sollte der Arbeitnehmer keine ärztliche Bescheinigung über seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorlegen. Diese Verpflichtung trifft den Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EZFG bei einer Krankmeldung für länger als drei Kalendertage.
Gesetzlich ausgeschlossen ist ein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitgebers bezüglich der Herausgabe der Arbeitspapiere des Arbeitnehmers, da dies den Arbeitnehmer unverhältnismäßig belasten würde. Der Arbeitgeber ist somit verpflichtet bei Aufforderung, dem Arbeitnehmer die Arbeitsbescheinigung, Lohnsteuerkarte, Lohnsteuerbescheinigung, Urlaubsbescheinigungen, die schriftliche Mitteilung über die sozialversicherungsrechtliche Abmeldung sowie das Zeugnis herauszugeben.
Welche Besonderheiten müssen bei der Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts durch den Arbeitgeber bezüglich der Vergütungsansprüche beachtet werden?
Der Arbeitgeber darf die bereits fälligen Sozialabgaben für den Arbeitnehmer nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht kürzen. Die Sozialabgaben sind bereits fällig, wenn der Arbeitnehmer für einen Monat unter einer bestimmten Vergütungsregelung gearbeitet hat, unabhängig davon ob der Lohn dem Arbeitnehmer zu Recht zurückbehalten wurde.
Die Nichtabführung der Sozialabgaben stellt für den Arbeitgeber nach § 266a Abs. 1 StGB sogar eine strafbare Handlung dar.
Auch hat der Arbeitnehmer trotz wirksamen Zurückbehaltungsrechts des Arbeitgebers einen Anspruch auf Auszahlung des unpfändbaren Teils des Nettolohns. Dieser Anspruch erfolgt aus § 394 Satz 1 BGB, der auch die Aufrechnung einer unpfändbaren Forderung für unzulässig erklärt.