Leichte oder grobe Fahr­läs­sig­keit?

Sie kennen nicht den Un­ter­schied zwi­schen leichter und grober Fahr­läs­sig­keit? Das kann schon mal pas­sieren!

Die recht­liche Ein­ord­nung zwi­schen leichter und grober Fahr­läs­sig­keit fällt dem ju­ris­ti­schen Laien häufig schwer. Dabei hängen hiervon bei­spiels­weise zahl­reiche Rechte und Pflichten des Ver­si­che­rungs­neh­mers in einem Ver­si­che­rungs­fall ab.

Be­kann­testes Bei­spiel ist die Her­bei­füh­rung des Ver­si­che­rungs­falles. Klar ist, wenn der Ver­si­che­rungs­nehmer den Ver­si­che­rungs­fall vor­sätz­lich her­bei­führt (er bei­spiels­weise sein ver­si­chertes Haus an­zündet), dann ist der Ver­si­cherer gemäß § 81 Abs. 1 VVG von der Leis­tungs­pflicht be­freit. Hat der Ver­si­che­rungs­nehmer hin­gegen den Ver­si­che­rungs­fall grob fahr­lässig her­bei­ge­führt, dann ist der Ver­si­cherer gemäß § 81 Abs. 2 VVG be­rech­tigt, seine Leis­tung zu kürzen – im Ex­trem­fall bis auf Null. Na­tur­gemäß wird der Ver­si­cherer dem Ver­si­che­rungs­nehmer daher grobe Fahr­läs­sig­keit vor­werfen. Der Ver­si­che­rungs­nehmer wird hin­gegen be­haupten, er habe nur leicht fahr­lässig ge­han­delt, da er dann die volle Leis­tung er­hält. Aber wer hat nun Recht?

Ein Bei­spiel: Schlusi Schläfrig hat sich pas­send zur Weih­nachts­zeit einen Ad­vents­kranz ge­kauft. Er macht es sich abends bei einem Glas Wein auf dem Sofa ge­müt­lich und zündet die erste Kerze an. Als­bald nickt er ein, als plötz­lich das Te­lefon im Flur klin­gelt. Er ver­lässt das Zimmer, ohne zuvor die Kerze aus­zu­ma­chen. Er ist ins­ge­samt fünf Mi­nuten ab­we­send. In dieser Zeit kippt je­doch die Kerze um und setzt die An­richte in Brand. Es kommt zu er­heb­li­chen Ruß­schäden. Er wendet sich an seine Ver­si­che­rung. Diese be­hauptet je­doch, er habe grob fahr­lässig ge­han­delt und er­setzt le­dig­lich die Hälfte des Scha­dens. Herr Schläfrig fragt sich, ob dies richtig war.

Der Bun­des­ge­richtshof wird ihm da wohl nicht wei­ter­helfen. Nach der Rechts­spre­chung des höchsten deut­schen Ge­richts han­delt der­je­nige grob fahr­lässig, der ob­jektiv schwer und sub­jektiv un­ent­schuldbar gegen die im kon­kreten Fall ge­bo­tene Sorg­falt ver­stößt. Bei sol­chen De­fi­ni­tionen fällt es selbst einem Profi schwer, den Grad der Fahr­läs­sig­keit richtig ein­zu­ordnen.

Des­halb be­hilft sich der Prak­tiker mit einer ein­fa­chen Regel. Kann das Ver­halten was zum Schaden führte mit „Das kann ja mal pas­sieren“ um­schrieben werden, geht die Ten­denz stark zum leicht fahr­läs­sigen Ver­halten. Würde ein Ver­halten da­gegen mit „Das darf nicht pas­sieren!“ be­schrieben werden, be­findet man sich im Be­reich der groben Fahr­läs­sig­keit.

Diese beiden Grund­sätze auf das Ver­halten des Schlusi Schläfrig an­ge­wandt, be­deutet Fol­gendes: Als es sich Herr Schläfrig bei einem Glas Wein auf das Sofa ge­müt­lich machte, be­stand die hohe Wahr­schein­lich­keit, dass er in­folge des Al­ko­hol­ge­nusses und der be­quemen Kör­per­hal­tung ein­ni­cken werde. In dieser Si­tua­tion, die Kerze auf einem Ad­vents­kranz brennen zu lassen, ist ein ob­jektiv schwerer und sub­jektiv un­ent­schuld­barer Ver­stoß gegen die Sorg­falt. Sowas darf nicht pas­sieren!

Er hatte je­doch Glück im Un­glück, als er vom Te­lefon ge­weckt wurde. Ver­lässt je­mand ein Zimmer kurz­zeitig zum te­le­fo­nieren und ver­gisst dabei eine Kerze aus­zu­ma­chen, dann han­delt der­je­nige le­dig­lich leicht fahr­lässig. Sowas kann eben mal pas­sieren. Vom Ver­si­cherer war es also falsch, als er die Leis­tung des Herrn Schläfrig kürzte.

Diese Faust­re­geln sind indes nur ein erster, wenn auch nütz­li­cher, An­halts­punkt. Sollten Ihnen Ihr Ver­si­cherer grobe Fahr­läs­sig­keit vor­werfen und Sie sind sich dies­be­züg­lich un­si­cher, dann sollten Sie sich an einen auf Ver­si­che­rungs­recht spe­zia­li­sierten Rechts­an­walt wenden – bevor Sie mit dem Ver­si­cherer reden.

Rechts­an­walt Piet­ruschka